Der Rentnerstandpunk

Im Verteilkampf um Renten wird darüber diskutiert, ob diese gekürzt werden können. Da Rentner in den Stiftungsräten von Pensionskassen nichts zu sagen haben, fragt sich, wer ihre Interessen vertritt.

In letzter Zeit wird oft die Meinung vertreten, die Pensionierten seien viel zu gut weggekommen; es wird gar die Kürzung gesprochener Renten verlangt. Aus politischen Gründen wurde der demografische Wandel zu wenig berücksichtigt. Das Alter der Pensionierung blieb jahrzehntelang bei 65. Die Argumente der Arbeitgeber für eine Erhöhung sind zwar richtig, kontrastieren aber mit ihrer eigenen Praxis, viele ältere Arbeitnehmer frühzeitig in Pension zu schicken. Es ist nicht glaubwürdig, für das Rentenalter 67 zu plädieren, aber laufend vorzeitig Pensionierungen oder gar Entlassungen auch von fähigen Arbeitnehmern ab Alter 58 vorzunehmen. Die hohen Beitragskosten (als Abgabe in Lohnprozenten) für ältere Arbeitnehmer bilden falsche Anreize.

Gewerkschaften wiederum wehren sich gegen ein höheres Pensionierungsalter und einen versicherungsmathematisch gebotenen niedrigeren Umwandlungssatz. Die Rentner von heute haben von einem hohen Satz profitiert. Aber es gibt keine Fälle, in denen der Umwandlungssatz niedriger angesetzt war als der versicherungsmathematisch richtige. Insofern ist dadurch bis heute keinem Neurentner ein Schaden entstanden.

Altrentner haben im Vertrauen auf die Zusicherung des Bundesgesetzgebers, dass die anfänglich gesprochene Rente nicht gekürzt werden kann, ihre Vorsorgeplanung gemacht. Diese beginnt etwa ab Alter 50; aber gerade in den Jahren um die Pensionierung herum werden die verschiedensten Dispositionen getroffen: güterrechtlicher und erbrechtlicher Natur etwa, die Bestimmung des zukünftigen Wohnens und in diesem Zusammenhang allenfalls die Hypothek fürs eigene Haus; Anschaffungen oder Reisen werden gemacht oder hinausgeschoben, Spital- und Pflegeversicherungen abgeschlossen, Anlageentscheide getroffen und vieles mehr. Selbst wenn man eine Senkung der gesprochenen Rente entgegen staatlich gemachten Versprechungen vornehmen würde, käme man wohl um eine langjährige Übergangslösung nicht herum.

Durch die verlängerte sogenannt dritte Phase im Leben sind auch neue Märkte entstanden. Sie tragen zur Stärkung und zum Wachstum der Wirtschaft bei – z. B. im Tourismus (wenn Rentner Winterkurorte besuchen) oder beim Wohnungsbau (wenn Pensionierte ihre nun zu gross gewordene Behausung verlassen möchten).

Zinssatz und Teuerung sind voneinander abhängig. In Zeiten hoher Inflation sind in der Regel die Zinsen hoch, in Zeiten tiefer Inflation oder Deflation sinkt auch der Zins. Dass zurzeit sogar ein Problem von Negativzinsen besteht, ändert nichts daran, dass der Realzinssatz, also die Differenz zwischen nominalem Zinssatz und negativer Teuerung, auch im letzten Jahr immer noch bei rund 1 Prozent lag. Von der Nicht-Teuerung profitieren die Pensionskassen gleich doppelt: Der Druck, die Leistungshöhe beizubehalten, den es trotz dem Beitragsprimat immer noch gibt, fällt im Gegensatz zu früher bei den Aktiven weg. Und von den Rentnern kommen kaum Vorstösse für eine Anpassung der Renten nach oben. Dies stellt für Pensionskassen eine Entlastung dar, da im Fall von Teuerung eine Anpassung vorgeschrieben ist.

Für die Rentner ist die Tatsache, dass ihre Pension bei Nicht-Teuerung nicht an Kaufkraft verliert, ein Segen. Selbst bei einer moderaten Inflation, wie es sie zurzeit eben nicht gibt, leidet die Kaufkraft naturgemäss. Übrigens: Was nützt den Aktiven ein niedriger Zins, wenn ihre Ersparnisse durch die Teuerung weggefressen werden?

Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass wegen der niedrigen Zinsen die Rendite der Pensionskassen gering sei und auch deshalb der BVG-Mindestzins bei mickrigen 1,25 Prozent stehe. Nun sind wir längst über die Zeit der mündelsicheren Anlage hinweg, und viele gut geführte Pensionskassen haben eine risikoadäquate Anlage, die in den Jahren 2013 und 2014 über 5 Prozent abwarf und selbst im schlechteren Jahr 2015 ungefähr um 0 oszillierte. Auch die Swiss Life präsentierte für 2015 ein hervorragendes Anlageergebnis.

Das Vermögen der Aktiven und Rentner soll nicht anhand von Obligationenzinsen, sondern anhand effektiver Renditen verzinst werden. Wäre es nicht sinnvoll, den Mindestzinssatz auf etwa 50 Prozent der effektiv erreichten Rendite abzüglich angemessener Verwaltungskosten festzulegen und die nötige Senkung des Umwandlungssatzes mit einer Garantie des Teuerungsausgleichs zu kombinieren?

Der technische Zinsfuss ist in den letzten Jahren von etwa 4 auf bis zu 2,5 Prozent gesenkt worden. Damit wurde der Deckungsgrad der Pensionskassen nach unten «manipuliert». In den Jahren 2013 und 2014 hat bei einer Rendite von über 5 Prozent und einem technischen Zinsfuss von 3 Prozent eine Verschiebung aus Rentnervermögen zu jenen der Aktiven stattgefunden.

Die Rentner haben bekanntlich kein Mitspracherecht im Stiftungsrat. Sie hätten nichts zu befürchten, denn ihre Rente sei gesichert, wird ihnen gesagt. Sollten gesprochene Renten tatsächlich vom Stiftungsrat einseitig gesenkt werden können, dann müsste vorher anstelle der bisherigen Parität (von Arbeitgebern und Arbeitnehmern) im Stiftungsrat eine Lösung gefunden werden, bei welcher die Rentner eine volle Mitbestimmung über Organisation und Anlage besitzen.

Quelle: NZZ
14.04.2016

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