«Junge werden heute in keiner Weise entschädigt»

Thomas Schönbächler, Chef der Zürcher Pensionskasse BVK, will die jungen Versicherten schützen. Jene, die heute in Rente seien oder gingen, würden krass bevorteilt, sagt er.

Sie sind Chef der zweitgrössten Pensionskasse des Landes, der BVK. Wie sorgt Herr Schönbächler für seine eigene Altersvorsorge vor?

Thomas Schönbächler: Ich habe drei Kinder, die einst in die AHV einzahlen werden. In sie investiere ich als Vater, was auch eine Art Vorsorge ist. Dann habe ich eine zweite Säule, die mir logischerweise sehr am Herzen liegt. Ich gehe jedoch davon aus, dass ich nicht mit 65 in Pension gehen kann. Das Rücktrittsalter wird sich flexibilisieren.

Sie haben in den letzten Jahren die BVK in ruhige Gewässer zurückgeführt. Die Kasse ist heute gut aufgestellt – das System der zweiten Säule ist es weniger.

Das seh ich auch so. Allerdings reden wir heute von den falschen Parametern. Vor allem aus Sicht der Jungen. Alle denken immer nur an den Umwandlungssatz. Dieser bestimmt zwar die Rentenhöhe und ist kurz vor der Pension sicher wichtig. Doch die Höhe des Sparkapitals ist es auch.

Können Sie erklären, wieso dem so ist?

Der Umwandlungssatz definiert sich über zwei Grössen: Die Lebenserwartung und die realistischerweise zu erwartenden Kapitalmarkterträge. Die Lebenserwartung steigt und steigt, und die Renditen sinken seit Jahren. Damit wird der Kapitalstock, den ich bis zur Pension anspare, wichtiger. Je grösser er ist, desto mehr Rente. Egal, wo der Umwandlungssatz steht. Wenn jemand den Job wechselt, nimmt er das Kapital mit – nicht den Umwandlungssatz.

Braucht es die zweite Säule in einer Welt ohne Rendite aber überhaupt noch? Geld ansparen kann ich auch allein?

Schon, nur: In der zweiten Säule spart der Arbeitgeber mit. Zudem gibt es in der zweiten Säule Solidaritäten, die ich für richtig halte: von krank zu gesund, von jenen mit Kindern zu jenen ohne Kinder, von Partnerschaften mit/ohne Trauschein zu Singles usw. Die einzige Umverteilung, die definitiv nicht in die zweite Säule gehört, ist jene von Jung zu Alt. Sie ist systemfremd.

Vergleich zehnjähriger Bundesobligationen, BVG-Mindestzins und benötiger Rendite, um Verpflichtungen zu zahlen

Genau die Umverteilung von Jung zu Alt ist heute in der zweiten Säule extrem ausgeprägt. Weil an vielen Orten immer noch zu hohe Renten garantiert werden.

Richtig. Die Umverteilung ist enorm. Mein Motto ist deshalb «Back to the roots!» 1985 war das System im Gleichgewicht. Die Rendite von Bundesobligationen garantierte die Verzinsung des Geldes der Arbeitnehmer und die Versprechen an die Rentner. Heute ist dies nicht mehr der Fall. Jene, die in Rente sind oder gehen, werden krass bevorteilt. Die Jungen werden heute in keiner Weise dafür entschädigt, dass sie das Risikokapital zu Verfügung stellen für zu hohe laufende Renten.

Ihre Kasse geht als eine der ersten sehr konsequent gegen die systemfremde Umverteilung vor. Die Senkung der Renten hat der BVK auch Kritik eingetragen. Einige angeschlossene Firmen haben damit gedroht, die BVK zu verlassen. Wie viele haben das letztlich getan?

Verlassen haben uns nur ganz wenige. In der Gemeinde Schlieren steht die Urabstimmung noch aus. Die Universität Zürich hingegen bleibt bei uns, auch alle Spitäler. Insgesamt haben 67 Anschlüsse ihre Daten bei uns bestellt, um Offerten bei Konkurrenten einzuholen – von rund 450.

Geht die BVK mit der massiven Senkung des Umwandlungssatzes auf 4,87% ab 2017 nicht zu weit?

Nein. Die Lebenserwartung nimmt alle zehn Jahre um über ein Jahr zu. Wir haben rekordtiefe Zinsen. Und vergessen Sie nicht: Die BVK steckt in einer Unterdeckung. Wir verlangen Sanierungsbeiträge. Dies geschieht via Minderverzinsung. Die Sanierungsbeiträge fliessen damit direkt zu den Pensionierten – wegen der zu hohen Umwandlungssätze, die wir dort anwenden müssen. Das ist extrem stossend. Dadurch, dass wir den Umwandlungssatz um 21% reduzieren, sichern wir das finanzielle Gleichgewicht der Kasse und schützen die junge Generation. Die Jungen werden nicht unbedingt tiefere Renten haben, da sie noch viel Zeit haben, um Geld anzusparen.

Die Versicherten haben also wohlwollend auf die Rentensenkungen reagiert?

Das wäre schöngeredet. Wenn Sie die erste grosse Kasse sind, die das Thema konsequent angeht, provoziert man negative Reaktionen. Aber gestützt auf die Frühpensionierungen darf man schliessen, dass die Sanierung der BVK auf Verständnis stösst: Die vorzeitigen Abgänge, mit denen man die Senkung umgehen konnte, haben um nur rund 10% zugenommen. Ich hätte viel mehr erwartet. Viele arbeiten offenbar nicht nur wegen der Rente. Mit ein Faktor ist sicher, dass wir per Ende 2016 die Alterskapitalien ab Alter 48 aufgewertet haben. Damit kompensieren wir für heute in der BVK versicherte Personen die Senkung des Umwandlungssatzes bis auf rund 8%.

Wirtschaften Schweizer Pensionskassen nicht einfach zu schlecht? Niederländische und kanadische Pensionskassen erzielen systematisch höhere Renditen.

Das ist so. Ich habe mir die ausländischen Systeme, die vergleichbar sind, angeschaut. Die meisten von ihnen kennen Stabilisierungsmechanismen für schlechte Zeiten, auch auf der Verpflichtungsseite. In den Niederlanden zum Beispiel gibt die Nationalbank den Bewertungszins vor. Damit lassen sich die Kassen wirklich miteinander vergleichen. Fällt eine Kasse unter einen gewissen Deckungsgrad, muss sie Massnahmen ergreifen. Wozu auch Rentensenkungen gehören. Die Niederlande erhöhen auch das Rentenalter 2023 auf 67 Jahre.

Das Rücktrittsalter für alle anzuheben, ist unfair. Ein Bauarbeiter wird statistisch betrachtet weniger alt als ein Bankdirektor.

Da bin ich bei Ihnen. Das ist der einzige Kritikpunkt, den ich am Alterspaket 2020 habe. Der Bundesrat will das frühestmögliche Rücktrittsalter insgesamt erhöhen. Das halte ich für falsch. Wir brauchen eine Flexibilisierung zwischen 60 und 70. Denn es gibt, wie Sie sagen, berufsspezifische Unterschiede. Ist das System flexibel, können es Arbeitgeber für bestimmte Berufsgattungen nutzen.

Könnten Schweizer Pensionskassen nicht mehr Aktien halten statt Obligationen? Die Börsen haben seit der Finanzkrise, gestützt von der Tiefzinspolitik der Notenbanken, floriert.

Wie viel Prozent Aktien eine Kasse haben kann, hängt von deren Risikofähigkeit ab. Dabei spielt die Versichertenstruktur mit, die Höhe der Wertschwankungsreserven sowie das allgemeine Zinsniveau. Blindlings mehr Aktien zu kaufen, wäre sehr gefährlich. Die BVK hat um die 33% Aktien. Bis jetzt lief das Jahr mit einer Rendite von gut 4,1% gut. Wir versuchen zudem, mit Direktanlagen bei Gemeinden Prämien abzuschöpfen, indem wir beispielsweise Infrastruktur-Anlagen finanzieren. Wir sind gross genug, um dies tun zu können.

Kassen haben begonnen, nicht mehr 100% der Rente zu garantieren, sondern nur noch beispielsweise 90%. Die Rede ist von Bonusrenten. Was halten Sie davon?

Ich bin kein Fan davon. Ich möchte in der Schweiz daran festhalten, dass wir keine laufenden Renten senken und auch nicht beginnen, nur noch einen Teil der Rente zu garantieren. Was wir in der BVK neu eingeführt haben – ich meine als erste und einzige Kasse der Schweiz – ist ein Verteilmechanismus für spätere Rentenerhöhungen. Dabei beziehen wir ein, wann jemand in Pension ging und welche Verzinsung wir für die entsprechende Rente brauchen. Sobald wir freie Mittel für Rentenerhöhungen haben, bekommen solche jene zuerst, die zu den schlechtesten Bedingungen in Rente gingen.

Politisch gibt es Bestrebungen, Kapitalauszahlungen aus der Pensionskasse zu beschränken. Halten Sie das für richtig?

Nein. Es wäre eine Bevormundung. Wer sein Alterskapital beziehen will, soll es beziehen. In den Kapitalbezug einzugreifen, wäre für das System grundfalsch. Wir sind als Arbeitnehmer während unseres aktiven Arbeitslebens in einer Zwangsgemeinschaft mit der Pensionskasse des Arbeitgebers. Dieser Zwang darf nicht über die Pension hinausgehen.

Die Kosten der Vermögensverwaltung wurden immer wieder kritisiert. Haben wir Fortschritte gemacht?

O ja. Auch im Vergleich zum Ausland sind die Kosten bei uns tiefer. Angesichts der tiefen Zinsen kann man sich hohe Vermögensverwaltungskosten nicht mehr leisten. Es ist einer der wenigen Faktoren, mit dem man die Rendite ohne zusätzliches Risiko aufbessern kann. Bei der BVK sind wir mit 19 Basispunkten sicher sehr tief. Alleinseligmachend sind die Kosten aber nicht. Es gibt Gründe, teurere Anlagen zu kaufen.

Ihre Kasse vergibt seit kurzem Hypotheken an Dritte, nicht mehr nur an die eigenen Versicherten. Wie läuft dieses Geschäft bei der BVK?

Es ist für uns eine gewaltige Erfolgsstory. Wir haben bereits eine Milliarde Franken placiert. Wir machen alles selbst, arbeiten also nicht mit Vertriebskanälen. Unsere Motto: einfache Prozesse, keine Verhandlung über Zinshöhe. Wer unsere Bedingungen erfüllt, kriegt die Hypothek. Wir vergeben Hauskredite aber nicht nur an Private: Es ist uns gelungen, Beträge in der Höhe von weit über hundert Millionen an Genossenschaften zu vergeben.

Mit dem Vorstoss in Hypotheken konkurrenzieren Sie Banken. Ist das sinnvoll? Den Banken bricht das Geschäft so schon weg.

Wir sind eben gerade keine Bank. Wir haben das Geld bereits und müssen uns nicht refinanzieren. Hypotheken sind deshalb ideal, weil wir sie mit unseren langfristigen Verpflichtungen abgleichen können. Bei uns erhalten auch Rentner Hypotheken. Pensionierte laufen bei Banken meist auf. Wir haben uns gesagt: Wieso sollen Rentner schlechtere Schuldner sein? Im Gegenteil: Arbeitnehmer können ihren Job verlieren und damit das Einkommen. Rentner haben mit ihrer Rente ein sicheres Einkommen.

Weil Pensionskassen Schwierigkeiten haben, das Geld gut anzulegen, gibt es solche, die Arbeitnehmer drängen, sich das Kapital bei Pensionsantritt auszahlen zu lassen. Macht das die BVK auch?

Nein. Das halte ich für falsch. Genauso wie die Praxis, nur noch einen Teil des Alterskapitals in eine Rente umzuwandeln und den Rest den in Pension Gehenden zwingend auszuzahlen. Wenn solches einreisst, muss man sich wirklich fragen, wozu es die zweite Säule noch braucht. Wenn eine Pensionskasse richtig rechnet und die richtigen Grundlagen verwendet, dann gibt es keinen Grund, Renten nicht mehr zu garantieren.

Unter Ihrer Führung hat die BVK nach schwierigen Jahren wieder zur Ruhe gefunden. Wie lange finden wir Herrn Schönbächler noch in diesem Büro?

Solange der Stiftungsrat mit Herrn Schönbächler zufrieden ist und er selbst Spass an seiner Arbeit hat. Bis jetzt ist das der Fall. Herr Schönbächler hat sogar sehr grossen Spass und glaubt, dass es noch einige Herausforderungen gibt, die anzugehen sind. Zum Beispiel die Jungen für die zweite Säule zu begeistern oder die Digitalisierung. Da steht die BVG-Welt am Anfang.

Sie haben drei Kinder. Bleibt in einem Amt wie dem Ihren Zeit für die Familie?

Ich nehme mir die Zeit. Beispielsweise indem ich regelmässig Ferien mache. Das ist auch für die Organisation wichtig. In unserer Geschäftsleitung gilt: Wer länger als eine Woche weg ist, stellt seine E-Mails ab. Das macht es für Stellvertreter spannend. Und es zwingt einen loszulassen. Abends versuche ich mit der Familie zu essen. Ich habe einen kurzen Arbeitsweg und eine schnelle Vespa. Ich schaffe es immer auch wieder einmal auf eine Bergtour.

Quelle: NZZ
21.11.2016

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