Rentenarithmetik mit links

Der Gewerkschaftsbund erneuert die gängigen Regeln der Mathematik. Seine Berechnungen ergeben Rentenkürzungen, auch wenn die AHV-Renten garantiert nicht sinken.

Im Poker um die Altersvorsorge zählt der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) zu den stärksten Spielern. Früh hat er der Debatte mit dem Schlagwort «Rentenklau» den gewünschten Dreh gegeben. Wer immer am gesetzlichen Umwandlungssatz von 6,8 Prozent rütteln wollte, bekam von links sauber eins auf den Deckel.

Und was macht der SGB nun? Erstens stellte er seine eigene Pensionskasse Anfang Jahr auf den Beitragsprimat um, womit die Angestellten ihre Leistungsgarantien verloren – gemessen an der reinen syndikalistischen Lehre ist das bereits ein Sakrileg.

Damit nicht genug: Obendrein legte der SGB den Umwandlungssatz bei 6,25 Prozent fest – weit unter dem gesetzlichen Minimum. Damit liegt die Gewerkschafterkasse im Mittelfeld aller Vorsorgewerke. Das ist zulässig, da die SGB-Pensionskasse gut ausgebaut ist und das gesetzliche Minimum übertrifft.

Mit diesem Schritt zeigt sich der SGB erstaunlich flexibel. Als das Parlament den Mindestumwandlungssatz schon nur auf 6,4 Prozent senken wollte, ging er auf die Barrikaden. Das Volk lehnte diesen Schritt 2010 denn auch haushoch ab. Der Umwandlungssatz entscheidet über die Höhe neuer Renten. Ein Satz von 6 Prozent ergibt pro 100'000 Franken Alterskapital noch eine Rente von 6000 Franken im Jahr.

Ist nun also der SGB selber zum «Rentenklauer» geworden? Sprecher Thomas Zimmermann wehrt ab. Der SGB hat als Arbeitgeber genügend Geld in die Pensionskasse eingeschossen, um die älteren Versicherten vor Renteneinbussen zu schützen. Das Personal muss auch keine höheren Lohnabzüge hinnehmen. Glücklich, wer so gross­zügige Arbeit­geber respektive Mitglieder hat.

Darf man denn nun annehmen, dass der SGB inzwischen einsichtig ist und die geplante Reduktion des Mindestumwandlungssatzes auf 6 Prozent unterstützt? Weit gefehlt. Zimmermann sagt, der SGB sehe den tiefen Umwandlungssatz als «hoffentlich kurzfristige» Massnahme wegen der tiefen bis negativen Zinsen. Eine dauerhafte Reduktion lehnt er ab, da es ­mit den Zinsen sicher wieder aufwärtsgehen werde.

Merke: Eine wichtige Variable gewerkschaftlicher Rentenarithmetik ist das Prinzip Hoffnung.

Die argumentative Gymnastik ist noch in einem zweiten Fall imposant. Auf einem SGB-Flugblatt für die grosse «Rentendemo» am 10. September in Bern ist folgende Hiobsbotschaft zu lesen: «Die rechtsbürgerliche Mehrheit im Nationalrat greift die AHV an. Sie fordert Rentenkürzungen (…).»

Ja hoppla! Rentenkürzungen in der AHV? Sind FDP und SVP vom Wahnsinn umzingelt, dass sie ein solches Himmelfahrtskommando planen? Und warum weiss die Öffentlichkeit nichts von dieser Attacke?

Weil es sie nicht gibt. Niemand will die AHV-Renten kürzen – schon gar keine Politiker, die ­wiedergewählt werden wollen.

Also lügen die Gewerkschafter? Sprecher Zimmermann winkt wieder ab. Er verweist darauf, dass SVP und FDP eine Art «AHV-Schuldenbremse» planen, die das Rentenalter mittelfristig schrittweise auf 67 Jahre erhöhen würde. Somit müsste man länger in die AHV einzahlen und bekäme weniger lang eine Rente – nach allen Regeln der Gewerkschaftsmathematik eine glasklare Rentenkürzung.

Nun gut. Beugen wir uns der linken Logik und schauen kurz auf die letzten Jahrzehnte zurück. Obwohl die Lebenserwartung massiv stieg, verharrt das Rentenalter unter der hochheiligen 65er-Schallgrenze. Wir beziehen also immer länger AHV – nach gewerkschaftlicher Rechenkunst eine glasklare Rentenerhöhung. Seltsam nur, dass der SGB auf diesen endlosen AHV-Ausbau nie hinweist. Stattdessen ortet er allenthalben «Rentenabbau».

Fazit: In der Rentendebatte muss man weiterhin mit dem SGB rechnen. Auch wenn nicht immer logisch ist, was dabei herauskommt.

Quelle: Berner Zeitung
18.08.2016