Was bedeutet der Rentenreformplan des Bundesrates für die Pensionskassen?

Der Bundesrat will die Reformen der AHV und der zweiten Säule trennen. Die zweite Säule hat nur noch zweite Priorität. Doch die Pensionskassen können sich selber helfen.

Nun ist es amtlich. Der Bundesrat will die Rentenreform aufspalten. Wie Sozialminister Alain Berset am Mittwoch verkündete, soll die AHV gegenüber der Reform der zweiten Säule Priorität haben (NZZ 21. 12. 17). Die Reform der ersten Säule ist dringlicher, weil sich die AHV ohne Gesetzesänderung im Unterschied zu den Pensionskassen nicht selber helfen kann und bald mit jährlichen Milliardenverlusten rechnen müsste.

Doch ganz ohne Verbindung der beiden Säulen dürfte es nicht gehen, wie befragte Fachleute betonen. Die vom Bundesrat vorgesehene Flexibilisierung des Rentenalters in der AHV zwischen 62 und 70 Jahren bedinge eine Koordination mit der beruflichen Vorsorge. Auch die geplante Erhöhung des AHV-Referenzrentenalters für Frauen von 64 auf 65 Jahre sollte sinnvollerweise ebenfalls für die zweite Säule gelten.

Verzögerung «nicht tragisch»

Der Kern der separaten Vorlage zur beruflichen Vorsorge betrifft den Umwandlungssatz. Über dieses Dossier sollen sich nun zunächst die Sozialpartner beugen, um die Grundlagen für eine mehrheitsfähige Lösung zu schaffen. Für das obligatorische Alterskapital gilt immer noch ein Mindestumwandlungssatz von 6,8%. Pro 100 000 Fr. Alterskapital fliesst damit eine Jahresrente von 6800 Fr. In der vom Volk abgelehnten Vorlage war eine Senkung auf 6,0% vorgesehen.

Hinter dem Umwandlungssatz stecken Annahmen über die Lebenserwartung und die nominalen Anlagerenditen. Die Lebenserwartung ist in der Schweiz laufend am Steigen, die Renditeerwartungen aber sind deutlich gesunken. Viele Pensionskassenexperten betrachten heute einen Umwandlungssatz um 5% als rechnerisch einigermassen korrekt. Ist dieser Satz zu hoch angesetzt, werden Rentner faktisch durch Jüngere subventioniert.

Was wären die Folgen für die Pensionskassen, wenn es noch jahrelang beim Minimum von 6,8% bliebe? «Das wäre nicht tragisch», sagt Peter Zanella von der Beratungsfirma Willis Towers Watson: «Die meisten Pensionskassen können dies durch die Senkung des Umwandlungssatzes auf dem überobligatorischen Kapital kompensieren.» Beim überobligatorischen Kapital gibt es kein gesetzliches Minimum für den Umwandlungssatz.

Gemäss Daten der Oberaufsichtsbehörde sind rund 85% der Versicherten in Pensionskassen versichert, die genügend überobligatorisches Kapital hätten, um den Umwandlungssatz für den Durchschnitt des Gesamtkapitals auf etwa 5% zu senken. Laut einer Branchenumfrage von Swisscanto lag heuer der Durchschnitt des Umwandlungssatzes für Neurentner noch bei etwa 6%. Viele Senkungen sind aber schon aufgegleist, so dass das Mittel in fünf Jahren nahe bei 5,5% liegen könnte. Vorsorgeeinrichtungen ohne überobligatorisches Kapital müssten früher oder später die Lohnbeiträge erhöhen. Laut Zanella würde dies für die Betroffenen «Transparenz schaffen über die Kosten des hohen Mindestumwandlungssatzes». Vielleicht führe dies «in einigen Jahren zu einem Umdenken».

Ausbau statt Abbau

Gemessen an der Rhetorik auf der Politbühne, heisst Senkung des Umwandlungssatzes automatisch «Leistungsabbau». Bei der Einführung des Gesetzes für die berufliche Vorsorge (BVG) 1985 lag der gesetzliche Mindestumwandlungssatz bei 7,2%. Eine Senkung von 7,2 auf 5% reduziert bei unverändertem Kapital die nominale Jahresrente um rund 30%. Doch von einem Leistungsabbau in diesem Ausmass kann keine Rede sein. Beim Start des BVG 1985 steckte hinter dem damaligen Umwandlungssatz faktisch eine Renditegarantie (im Jargon: technischer Zinssatz) für die Neurentner von nominal 4%. Und hinter einem Umwandlungssatz um 5% steht heute faktisch eine Renditegarantie von nominal gut 2%. Rund drei Viertel der Differenz zwischen den erwarteten Nominalrenditen von 1985 und jenen von heute werden aber durch die Reduktion der Teuerung kompensiert, und somit wird die Kaufkraft der Jahresrenten kaum geschmälert. Die durchschnittliche Inflation von 1985 bis 2005 (als die erste BVG-Revision in Kraft trat) betrug 1,8% pro Jahr, seither belief sich die Inflationsrate im Mittel nur auf 0,2%. Politiker und Lobbyisten räumen dies in Gesprächen zwar ein, entgegnen aber, dass man dies dem Publikum nicht erklären könne.

Hinzu kommt, dass die Lebenserwartung für 65-Jährige seit 1985 um einen Viertel gestiegen ist – von 17 auf über 21 Jahre (Durchschnitt von Frauen und Männern). Entsprechend fallen mehr Jahresrenten an, was einen Ausbau der gesamten Rentenleistung bedeutet.

Trotzdem herrscht in der Politik in einem Punkt fast Einigkeit: Die nominalen Jahresrenten sollen insgesamt nicht sinken. Das ist auch die Prämisse vor dem Start der Verhandlungen der Sozialpartner. Auch der Arbeitgeberverband teilt diese Ansicht, wie dessen Direktor Roland Müller bestätigt.

Die nun vom Bundesrat gewünschten Verhandlungen der Sozialpartner waren ein Anliegen der Arbeitgeber. Die ersten Gespräche sollen Anfang des nächsten Jahres starten. «Unser Ziel wäre, dass sich die Sozialpartner bis Ende des nächsten Jahres auf eine Grobvorlage einigen», sagt Arbeitgeberverbands-Direktor Müller. Er hofft, dass die Reform der zweiten Säule am Ende «mit nicht mehr als einjähriger Verspätung auf die Vorlage zur ersten Säule in Kraft treten kann».

Ob es zu einer Einigung kommt, ist völlig offen. Die Beziehungen zwischen den Sozialpartnern waren jüngst nicht die besten, und die Differenzen in der Rentenfrage sind erheblich. Sollte es per saldo wie bei der abgelehnten Vorlage eine weitgehende oder gar volle «Kompensation» der Senkung des Mindestumwandlungssatzes geben, könnte man auf die Senkung wohl auch gleich verzichten. Die Umverteilung von Jung zu Alt könnten die Pensionskassen weitgehend selber eliminieren, es bliebe die Umverteilung von den Gross- zu den Kleinverdienern.

Verteuerung der Arbeit

Will man die besagten Kompensationen, heisst dies wohl höhere Lohnbeiträge und für eine Übergangsgeneration auch eine Zusatzfinanzierung; die abgelehnte Vorlage hatte dafür eine Subventionierung über den Sicherheitsfonds vorgesehen, der von allen Pensionskassen gefüttert wird. Dies würde eine Umverteilung zwischen den Pensionskassen in Gang setzen. Eine Erhöhung der Lohnbeiträge brächte derweil eine Verteuerung der Arbeit. Die Arbeitgeber würden jedoch sicherlich versuchen, mindestens einen Teil der Zusatzkosten zu überwälzen – auf die Angestellten (tieferer Lohnanstieg), die Konsumenten (Preiserhöhungen) und die Arbeitslosen (Stellenabbau).

Das heuer im Parlament diskutierte Kompensationsmodell des Nationalrats könnte mit der Verteuerung der Arbeitskosten einige tausend Stellen kosten. Der Arbeitgeberverband bezeichnet dieses Modell heute als «zu teuer», doch Varianten davon könnten nun wieder aufs Tapet kommen.

Quelle: NZZ
22.12.2017

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