«Es findet eine massive Umverteilung statt»

Den Jungen sei kaum bewusst, dass sie zu hoch verzinste Beiträge für Rentner finanzierten, sagt Thomas Schönbächler, Chef der Pensionskasse BVK. Die strittigen Kürzungen würden nicht zurückgenommen.

Herr Schönbächler, die BVK ist seit 2014 eine private Stiftung. Seither hagelt es Kritik. Zuerst sorgte Ihr Lohn für Empörung, nun sollen auch noch die Leistungen gekürzt werden. «So haben wir uns die Privatisierung nicht vorgestellt», sagen selbst bürgerliche Staatsangestellte.

Thomas Schönbächler: Mit solch oberflächlicher Kritik habe ich Mühe. Der Kantonsrat hat die Verselbständigung ohne Gegenstimme beschlossen. Ziel war, Interessenkonflikte zu vermeiden und die Führung zu professionalisieren. Dieses Ziel ist erreicht. Im Stiftungsrat sitzen je neun gewählte Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter. Entsprechend gut abgestützt sind Entscheide wie jener zum Vorsorgeplan 2017. Der Stiftungsrat ist sich einig, dass die Massnahmen richtig sind, obwohl allen klar ist, dass sie zu Renteneinbussen führen.

Spitäler, Gemeinden und der Personalverband VPOD fordern, die Beschlüsse seien zurückzunehmen. Wird es weitere Verhandlungen geben?

Wir haben die Versicherten und Arbeitgeber in über 300 Veranstaltungen informiert. Am breit abgestützten und klaren Entscheid des Stiftungsrates wird nicht gerüttelt, es sei denn, es würden sich fundamentale Grundlagen ändern. Das ist aber nicht anzunehmen.

Bei den Versicherten ist aber eine grosse Verunsicherung spürbar. In diversen der angeschlossenen Organisationen wie der Universität Zürich wird gar ein Kassenwechsel geprüft. Es drohen Abgänge.

Die Kritik nehmen wir sehr ernst. Wir sind aber zuversichtlich, dass unsere Argumente bei vertiefter Prüfung nachvollzogen werden. Der Verband der Gemeindeschreiber hat ein unabhängiges Gutachten zu unserem Vorsorgeplan angeregt. Sein Fazit: Die BVK vollzieht einen mutigen Schritt, aber zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Massnahmen. Persönlich bin ich felsenfest überzeugt, dass mittelfristig jede Pensionskasse in die Richtung gehen muss, in die wir jetzt gehen.

Die BVK will den technischen Zinssatz von 3,25 auf 2 Prozent senken, womit sich auch der Umwandlungssatz für die Renten reduziert. Für die Versicherten bedeutet das, dass die Lohnabzüge höher und die künftigen Renten tiefer sind. Das sei eine doppelte Bestrafung, monieren Personalvertreter.

Der eine oder andere hat offenbar noch nicht mitbekommen, dass es vor 15 Jahren einen Wechsel vom Leistungs- zum Beitragsprimat gab. Im Beitragsprimat sind einzig die Lohnbeiträge sicher, die notabene zu 60 Prozent vom Arbeitgeber bezahlt werden. Unsicher ist dagegen, wie sich Verzinsung und Lebenserwartung entwickeln. Angesichts der steigenden Lebenserwartung und des schwierigen Zinsumfelds hatten wir gar keine andere Wahl.

Wie erklären Sie das einem jungen Arbeitnehmer?

Die Versicherten müssen umdenken. Entscheidend ist, wie viel Geld sie Ende Jahr auf ihren Konti bei der BVK haben, denn dieses Geld nehmen sie auch bei einem allfälligen Arbeitgeberwechsel als Guthaben mit. Umwandlungssätze sind, gerade für jüngere Versicherte, sehr weit weg und deshalb nur bedingt aussagekräftig. Die Jungen müssen merken, dass heute eine massive Umverteilung stattfindet – von den Aktiven zu den Pensionierten. Anders sind im heutigen Umfeld die Versprechungen an die Rentner gar nicht mehr einzulösen. Dass wir Gegensteuer geben, fällt einigen Jungen auch positiv auf, ich habe auf der Strasse sogar spontane Gratulationen erhalten. Andere kümmern sich nicht um das Thema, weil die Pensionierung weit weg ist.

Tatsächlich? In den Protestbriefen sind doch alle Generationen vertreten, auch jüngere Arbeitnehmer.

Die Protestbriefe sind eine orchestrierte Aktion des VPOD, sicher hat dabei auch ein gewisser sozialer Druck gespielt, den ich gut nachvollziehen kann. Doch nehmen wir ein Beispiel: Eine Lehrerin, Jahrgang 1974, mit 100 000 Franken BVK-Sparguthaben. Was glauben Sie: Auf wie viel Zins verzichtet sie im Jahr, damit die heutigen Renten bezahlt werden können?

1000 Franken?

2500 Franken! Ich bin aber sicher, dass diese Lehrerin sich dessen nicht bewusst war, als sie die Petition unterzeichnet hat. Dass die Jüngeren durch ihre Beiträge direkt die Rentner finanzieren, gehört aber definitiv nicht in die zweite Säule.

Ist der Entscheid, die Konditionen auf einen Schlag drastisch zu ändern, auch als Weckruf gedacht, um auf die Umverteilung aufmerksam zu machen?

Nein, der Stiftungsrat entscheidet pragmatisch. In einer Pensionskasse mit einem Deckungsgrad von 110 Prozent tut die Umverteilung nur indirekt weh, der Deckungsgrad wird tendenziell einfach tiefer. Die BVK hat aber einen Deckungsgrad von 95 Prozent, es gibt Sanierungs-Mechanismen in Form von tieferer Verzinsung und Sanierungsbeiträgen durch die Arbeitgeber. Da ist die Umverteilung direkt spürbar, wir sind zum Handeln verpflichtet. Es geht letztlich darum, die Interessen der Versicherten zu schützen.

Vorgehalten wird Ihnen, die BVK falle nun hinter andere Kassen zurück, auch hinter jene der Credit Suisse, die kürzlich ebenfalls Einschnitte angekündigt hat.

Die CS und die BVK steuern auf ähnliche Grundlagen zu: auf technische Zinssätze von 2 und Umwandlungssätze von knapp unter 5 Prozent. Es gibt aber einen wichtigen Unterschied. Die BVK hat den Entscheid 18 Monate im Voraus angekündigt und misst den heute bereits Versicherten oberste Priorität bei. Sie senkt den Umwandlungssatz zwar auf einen Schlag, setzt aber für 17 Jahrgänge insgesamt 950 Millionen Franken zur Aufwertung der Sparguthaben ein. Ohne diese Abfederung lägen die Renteneinbussen bei 21 Prozent, mit ihr machen sie nun etwa 8 Prozent aus. Die CS dagegen reduziert den Umwandlungssatz über einige Jahre stufenweise. Von dieser Abfederung profitieren aber nur die direkt betroffenen Jahrgänge.

Am schlechtesten fahren bei der BVK die 48- bis 58-Jährigen. Sie müssen Renteneinbussen von bis zu 17 Prozent in Kauf nehmen. Was sagen Sie diesen Leuten?

Das vom Stiftungsrat beschlossene Modell ist so ausgerichtet, dass die aktiven Versicherten über alle Alterskategorien eine mutmassliche Renteneinbusse von etwa 8 Prozent hinnehmen müssen. Das ist ein Medianwert, es gibt Abweichungen nach unten und oben. Der Wert von 17 Prozent ist ein Extremfall. Es kann ihn geben, etwa wenn jemand kurz vor der Pensionierung den Teilzeitgrad stark reduziert hat. Meines Wissens sind davon weniger als 10 Versicherte betroffen. Die durchschnittliche Einbusse von 8 Prozent schleckt aber keine Geiss weg.

Weil keine Renten gekürzt werden, der für die Finanzierung relevante Zinssatz aber von 3,25 auf 2 Prozent gesenkt wird, dürfte der Deckungsgrad um rund 7 Prozentpunkte fallen. Was würde es bedeuten, wenn er auf unter 90 Prozent fiele?

Gemäss heutigem Reglement würden dann Sanierungsbeiträge der Arbeitgeber von 2,5 Lohnprozenten fällig, zum anderen müssten die Arbeitnehmer eine Nullverzinsung in Kauf nehmen. Jeder Stiftungsrat ist aber gemäss Bundesgesetz verpflichtet, alljährlich eine Lagebeurteilung vorzunehmen. Es ist also denkbar, dass die Massnahmen anders aussehen würden.

Wegen der gegenwärtigen Unterdeckung ist bereits ein erstes, 2013 in Kraft getretenes Sanierungspaket wirksam. Mit dem umstrittenen Vorsorgeplan, so lautet ein Vorwurf, wechseln Sie die Regeln während des Spiels.

Die Renditeerwartungen sind heute komplett anders als 2009, als das Paket geschnürt wurde. Damals hatte man mit der gleichen Anlagestrategie, die wir heute verfolgen, eine Renditeerwartung von 4,6 Prozent. 2015 sind es noch 2,8 Prozent. 2016 braucht die BVK aber eine Performance von 3 Prozent, um den Deckungsgrad nur schon halten zu können. Das geht auf Dauer nicht gut, und es zwingt den Stiftungsrat, die Verpflichtungen zu überprüfen. Das hat er getan, ab 2017 müssen wir eine Rendite von maximal 2 Prozent erzielen, um den Deckungsgrad zu halten.

Risikolose Anlagen gibt es im heutigen Umfeld nicht, Sie brauchen aber eine gute Performance, müssen also auch höhere Risiken in Kauf nehmen.

Es war tatsächlich eine andere Zeit, als mit risikoarmen Anlagen die Grundrenten gesichert werden konnten. Bei der Einführung der beruflichen Vorsorge im Jahr 1985 rentierte eine 10-jährige Bundesobligation mit 5 Prozent, während der technische Zinssatz bei 3,25 Prozent lag. Im letzten Jahr ist der Zins für die gleiche Obligation auf minus 0,35 Prozent gefallen, der technische Zins war aber gleich hoch. Das zwingt die Pensionskassen, Risiken einzugehen. Das ist nicht per se schlecht, aber auch hier sind die Jungen benachteiligt. In einer Pensionskasse stammt das Risikokapital von den aktiv Versicherten, die dafür einen Zins von bloss 0,75 Prozent erhalten. Das ist nicht gut. Wer Risikokapital gibt, sollte auch entschädigt werden.

Wie sieht der Fahrplan aus, um aus der Unterdeckung herauszukommen?

Wir rechnen damit, dass das in acht bis neun Jahren der Fall sein wird. Das langfristige Ziel ist, dass Rentner und Aktive den gleichen Zins erhalten, nämlich 2 Prozent.

Neben der Sanierung beschäftigte die BVK die Korruptionsaffäre rund um den früheren Anlagechef Daniel Gloor. Der Stiftungsrat hat sich dafür entschieden, auf Haftungsklagen gegen den Kanton und gegen ehemalige Regierungsräte zu verzichten. Bleibt es dabei?

Der Stiftungsrat hat das sehr intensiv geprüft, aber er ist klar zum Schluss gekommen, dass eine Klage nicht im Sinn der Kasse ist. Zudem konnten mit mehreren ehemaligen externen Dienstleistern aussergerichtliche Vergleiche ausgehandelt werden.

Haben Sie Herrn Gloor eigentlich im Gefängnis besucht?

Ja, als ich ihm im Sommer 2010 die fristlose Kündigung überbracht habe. Das war schon speziell, aber das Thema ist für mich abgeschlossen.


Protest-Ticker gegen Renteneinbussen

Je näher es rückt, desto forscher wird der Widerstand. Bereits im letzten Sommer kündete der Stiftungsrat der Pensionskasse BVK weitgehende Massnahmen an, um veränderte Realitäten aufzunehmen: rekordtiefe Zinsen und die längere Lebenserwartung. Immer stärker formiert sich nun die Seite der Kritiker, animiert und koordiniert vom Personalverband VPOD, der Argumentarium und Musterbriefe zur Verfügung stellt – und auf seiner Website einen Protest-Ticker unterhält. Kritik ist auch aus Städten wie Kloten und Schlieren sowie aus Institutionen wie der Universität Zürich, dem Universitäts- und dem Limmattalspital zu vernehmen.
Stein des Anstosses ist der vom 18-köpfigen Stiftungsrat beschlossene Vorsorgeplan 2017, der auf Anfang nächsten Jahres in Kraft treten soll. Konkret ist vorgesehen, den technischen Zinssatz von 3,25 auf 2 Prozent zu senken. Der Umwandlungssatz soll, bezogen auf das Pensionsalter 65, von 6,2 auf 4,87 Prozent reduziert werden. Die jährlichen Sparbeiträge werden für alle Versicherten um rund 15 Prozent erhöht. 950 Millionen Franken sind für Abfederungsmassnahmen eingeplant.
Die BVK, die ehemalige Beamtenversicherungskasse des Kantons Zürich, die auf den 1. Januar 2014 in eine privatrechtliche Stiftung umgewandelt wurde, ist mit gut 115 000 Versicherten und 470 angeschlossenen Arbeitgebern die grösste Schweizer Pensionskasse; ihr Anlagevermögen beträgt 29 Milliarden Franken.

Quelle: NZZ

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *