Jahresend-Krimi um die Pensionskasse

Es ist nicht lange her, seit der damals maroden Pensionskasse BVK die Kunden davonzulaufen drohten. Dank Sanierungsmassnahmen und guter Performance könnte der Deckungsgrad per Ende Jahr nun aber 100 Prozent betragen. Es wäre folgenreich.

Der Deckungsgrad der Pensionskasse BVK liegt nahe bei 100 Prozent. Gefährlich nahe, verlockend nahe: Es ist eine Frage der Perspektive. Überraschend nahe, ist unabhängig vom Standpunkt eine zutreffende Formulierung, befand sich doch die ehemals kantonale und inzwischen verselbständigte Kasse noch vor kurzem arg in Schieflage. Zum einen belastete die mit rund 113 000 Versicherten grösste Schweizer Pensionskasse ein Korruptionsskandal, der unter anderem in einen parlamentarischen Untersuchungsbericht mündete.

Zum anderen lag der Deckungsgrad im September 2011 bei lediglich 82,6 Prozent. Die Verpflichtungen hätten damals also nur zu rund vier Fünfteln aus eigenem Vermögen bestritten werden können; eine Sanierung war zwingend. Der Kanton steuerte unter anderen eine Einmaleinlage von 2 Milliarden Franken bei. Auch andere angeschlossene Arbeitgeber wie zum Beispiel Gemeinden oder der Flughafen Zürich und die Versicherten mussten Einschnitte in Kauf nehmen – und müssen dies laut Sanierungsplan noch bis und mit 2019 weiterhin tun. Sieben Jahre, so lautete die Kalkulation, würde die am 1. Januar 2013 begonnene Gesundung dauern.

Nun könnte die Sanierung der Kasse bereits am Jahresende abgeschlossen sein – zumindest vorläufig. Die Spielregel lautet so: Als umgesetzt gilt die Sanierung, wenn per Bilanzstichtag, also per 31. Dezember eines Jahres, der Deckungsgrad 100 Prozent oder mehr beträgt (Szenario «100 Prozent»). Ist dies der Fall, treten auf den 1. Juli des Folgejahres neue Modalitäten in Kraft, was die Sanierungsbeiträge der Arbeitgeber und die Verzinsung der Sparkapitalien der Versicherten betrifft. Die verzögerte Umsetzung hat einen einfachen Grund: Die Folgen sind derart weitreichend, dass die veränderten Massnahmen gestützt auf einen revidierten Geschäftsbericht festgelegt werden sollen.

Teil der Spielregel des sogenannt dynamischen Beteiligungsmodells ist allerdings auch, dass dieses in jedem Fall weiterbesteht. Das will heissen, dass die festgelegten Bedingungen gültig bleiben, auch wenn nun gegenwärtig der Deckungsgrad 100 Prozent oder mehr betragen würde. Die Arbeitgeber und die Versicherten würden also nach den geltenden Grundsätzen erneut zur Kasse gebeten, wenn in späteren Jahren wieder eine Unterdeckung aufträte.

Rentner im Vorteil

Trifft per Ende 2014 das Szenario «100 Prozent» ein, würden aber ab Mitte 2015 markante Anpassungen in Kraft treten. Entlastet würden einerseits die Arbeitgeber. Heute zahlen sie jährlich 2,5 Prozent der von ihnen versicherten Lohnsumme als Sanierungsbeitrag. Diese Belastung würde vollumfänglich wegfallen. Insgesamt macht dies für die BVK jährlich rund 125 Millionen Franken aus. Andererseits würde der Abschluss der Sanierung auch den Versicherten Vorteile bringen. Heute müssen sie eine Minderverzinsung von 0,5 Prozentpunkten gegenüber dem BVG-Mindestsatz von gegenwärtig 1,75 Prozent in Kauf nehmen. Im Szenario «100 Prozent» erhielten sie statt 1,25 neu mindestens 2,5 Prozent Zins auf ihren Sparkapitalien.

Aus BVK-Sicht hiesse Letzteres, dass sich die Belastung in diesem Bereich verdoppeln würde. Dies wäre aber insofern willkommen, als die Rentner heute laut Bundesgesetz einen garantierten Zinssatz von mindestens 3,25 Prozent zugesprochen erhalten. Ziel der Sanierung ist auch, die Ungleichbehandlung von Aktivversicherten und Rentnern einzudämmen, wie BVK-Chef Thomas Schönbächler sagt. Heute gehöre den zirka 30 Prozent Rentnern in der BVK rund die Hälfte des Vermögens. Eine effektive Gleichbehandlung ist laut dem dynamischen Beteiligungsmodell ab einem Deckungsgrad von 110 Prozent sichergestellt: Dann erhielten nicht nur Rentner, sondern auch Aktivversicherte einen Zinssatz von 3,25 Prozent. Noch bessere Konditionen gäbe es für beide Gruppen im Gleichschritt ab einem Deckungsgrad von 115 Prozent.

BVK mit wenig Reserve

Profiteure im Szenario «100 Prozent» wären die Arbeitgeber und die Versicherten. Die BVK selber könnte zwar einen Prestigegewinn verbuchen. Läge der Deckungsgrad aber nur knapp über 100 Prozent, würden die zusätzlichen Verpflichtungen und die wegfallenden Sanierungsbeiträge der Arbeitgeber auch die Gefahr bergen, dass bald die nächste Unterdeckung droht. Salopp ausgedrückt: Die BVK-Verantwortlichen würden wohl besser schlafen, betrüge der Deckungsgrad per Ende Jahr 99,9 und nicht 100 Prozent. Schönbächler weist diese zugespitzte Formulierung zurück: «Ich nehme die 100 Prozent gerne, wenn es tatsächlich so herauskommen sollte.» Richtig wohl sei es jedem Pensionskassenchef mit Blick auf die Wertschwankungsreserven aber tatsächlich erst, wenn der Deckungsgrad klar über 100 Prozent liege, idealerweise etwa bei rund 115 Prozent.

Fotofinish am Silvester

Was es mit Blick auf die Performance bedeutet, ob das Szenario «100 Prozent» eintrifft oder nicht, hat Schönbächler kalkuliert. Nach seiner Berechnung braucht die BVK im Jahr 2015 eine um 0,5 Prozentpunkte bessere Rendite, wenn der Deckungsgrad Ende 2014 100 Prozent oder mehr beträgt. Liegt er tiefer, sind 2,9 Prozent Rendite nötig, um ihn stabil zu halten. Im Szenario «100 Prozent» muss die BVK 3,4 Prozent auf ihren Anlagen erwirtschaften, damit sie nicht erneut in Unterdeckung gerät. Das ist zwar weniger als das langfristig angestrebte Mittel von 3,7 Prozent, im gegenwärtigen Tiefzinsumfeld aber eine Herausforderung.

So oder so: Ob der Deckungsgrad Ende Jahr die 100-Prozent-Grenze knackt, entscheidet sich in einem Fotofinish. Ende 2013 betrug er 96,1 Prozent, Ende Oktober 2014 lag er bei 99,1 Prozent, also fast schon im Zielbereich der Sanierung. Seit dann sind die Aktienkurse zwar tendenziell leicht gestiegen, der SMI kletterte etwa von rund 8800 auf über 9000 Punkte. Prognosen sind laut Schönbächler aber nicht möglich. Erstens sei die BVK breit investiert, zu rund 30 Prozent in Aktien, aber unter anderem auch in Obligationen oder Immobilienwerten. Zweitens könne an der Kursfront bis Ende Jahr noch einiges geschehen, in die eine oder andere Richtung. Ausgewiesen werde der Deckungsgrad per 31. Dezember 2014 Ende Januar 2015, sagt Schönbächler, danach werde er noch revidiert. Klar sei, dass die BVK den Deckungsgrad nicht beeinflussen könne. Die Bewertung der Immobilien würde etwa von externen Spezialisten durchgeführt.

Die Gründe für den überraschend starken Anstieg des Deckungsgrads sind laut dem BVK-Chef vielfältig. Plangemässe Effekte gezeitigt hätten die Sanierungsmassnahmen: die Einmaleinlage des Kantons sowie die Beiträge der Arbeitgeber und der Versicherten. Darüber hinaus habe die BVK die Verwaltungskosten im Versicherungs- und im Anlagebereich tief gehalten und eine gute Anlagestrategie verfolgt. Die Performance sei im Branchenvergleich überdurchschnittlich: Über die letzten 5 Jahre betrug sie 5,7, über die letzten 3 Jahre 6,3 Prozent. Spürt Schönbächler Genugtuung, nachdem er harsche Kritik hat einstecken müssen? Der Entscheid des Stiftungsrats, seinen Lohn nach der Verselbständigung der Kasse auf das Jahr 2014 hin um fast 50 Prozent auf 380 000 Franken zu erhöhen, hatte eine Protestwelle ausgelöst; das Gehalt wurde dann schliesslich nur von 260 000 auf 320 000 Franken angehoben. Schönbächler sagt: «Die bisherigen Erfolge freuen mich natürlich, aber Genugtuung zu verspüren wäre vermessen, da wir stark von den Kapitalmärkten abhängig sind.»

Rückstellungen auflösen?

Neugierig auf den Deckungsgrad per Bilanzstichtag ist auch die Finanzdirektion des Kantons. Die 2 Milliarden Franken für die Einmaleinlage sind zwar definitiv weg; der Kantonsrat hatte sie im Frühling 2012 zähneknirschend gesprochen. Die jährlichen Sanierungsbeiträge, die in der Rechnung 2011 für die Jahre bis und mit 2019 bereits zurückgestellt worden sind, würden aber im besten Fall zumindest teilweise obsolet.

Insgesamt geht es um eine Summe von 617 Millionen Franken. 132 Millionen sind bereits wieder im Trockenen, da die Sanierung besser voranschritt als geplant und die Schwelle von 90 Prozent beim Deckungsgrad bereits im ersten Jahr der Sanierung überschritten wurde. Eine entsprechende Rückstellung wurde in der Rechnung 2013 aufgelöst. Im Budget 2014 ist zudem geplant, weitere 40 Millionen aufzulösen: Ob dies tatsächlich so umgesetzt wird, entscheidet die Regierung im Rahmen der Rechnung 2014. Trifft nun Ende Jahr das Szenario «100 Prozent» tatsächlich ein, könnten im besten Fall weitere 269 Millionen Franken in die Rechnung des Kantons zurückfliessen, was angesichts der drohenden Defizite in den nächsten Jahren höchst willkommen wäre.

BVK-Chef Schönbächler warnt aber vor zu starker Euphorie: «Mit dem Auflösen von Rückstellungen wäre ich zurückhaltend, solange der Deckungsgrad nicht klar über 100 Prozent liegt. Es kann rasch wieder in die andere Richtung gehen.»

Haftungsklagen sind noch eine Option

Neben der Sanierung der BVK sorgt weiterhin die Aufarbeitung des Korruptionsskandals um den früheren Anlagechef Daniel Gloor für Gesprächsstoff. Auch der Stiftungsrat der inzwischen verselbständigten Pensionskasse hat sich noch vertieft mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Im Fokus steht die Frage, ob er Haftungsklagen gegen frühere Regierungsratsmitglieder einreichen wird. Ein Entscheid des Stiftungsrats ist für das kommende Jahr in Aussicht gestellt.

Nahrung gab einer Haftungsklage der Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK). Darin spricht diese Klartext: Die Hauptverantwortung für den Korruptionsskandal trage der Regierungsrat (NZZ 3. 10. 12). Wegen dessen mangelnder Aufsicht sei Korruption erst möglich geworden. Den Schaden beziffert die PUK auf bis zu 1,5 Milliarden Franken. Laut Experten ist allerdings fraglich, ob zwischen allfälligen Sorgfaltspflichtverletzungen von ehemaligen Regierungsratsmitgliedern ein rechtsgenügender Kausalzusammenhang zum Schaden hergestellt werden könne.

Quelle: NZZ

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