Mehr Risiko statt mehr Sicherheit

Die Sanierung der Pensionskasse PVS B-I-O ist in Ostermundigen unnötigerweise zum Trauerspiel geworden. Hauptverantwortlich dafür ist der Gemeinderat.

In einem Parlament dürfen die Wogen durchaus auch einmal hochgehen, die Sitzung des Grossen Gemeinderats von Ostermundigen am Donnerstagabend lief jedoch total aus dem Ruder, sowohl zeitlich wie auch argumentativ und emotional. Eine Sprecherin vermutete einen Sabotageakt, weil das Mikrofon den Geist aufgab, eine andere Parlamentarierin zeigte den Vogel, wenn ihr ein Votum nicht passte, ein dritter Volksvertreter sagte, der Gemeinderat tische Märchen auf und sei im Parlament ohnehin nur geduldet. Aus dem Publikum ertönten Buhrufe – dort sassen zahlreiche Angestellte der Gemeinde, die bei der schwer angeschlagenen Pensionskasse PVS B-I-O versichert sind.

Dass es so weit kam, muss vor allem dem Gemeinderat angelastet werden. Er hat die Legislative vor vollendete Tatsachen gestellt. Um eine klare Situation und genügend Zeit zu haben, entschlossen sich Bolligen und Ittigen für Entscheide an den Gemeindeversammlungen im März.

So konnte die Kündigung Ende Juni ausgesprochen werden. Der Ostermundiger Gemeinderat dagegen hat unter der Führung von Gemeindepräsident Thomas Iten (parteilos) ein Vorgehen gewählt, das demokratiepolitisch unverständlich und rechtlich wohl nicht sauber ist.

Er deklarierte 30 Millionen Franken als gebundene Ausgaben, das heisst, er selber entscheidet abschliessend darüber und wollte weder einen Parlaments- noch einen Volksentscheid zum Kredit. Vorher tönte es diesbezüglich immer anders. Dann schwenkte der Gemeinderat plötzlich um. Die Haltung des zuständigen Amts des Kantons ist aktenkundig: Es äusserte die Ansicht, die Mittel seien nicht als gebunden zu betrachten, weil die Leistungen zu einem erheblichen Teil freiwillig sind.

Kredite gehören vors Volk

Unabhängig vom rechtlichen Standpunkt: Ein Geschäft von dieser Tragweite muss dem Parlament und auch dem Stimmvolk vorgelegt werden. Auch der Kanton Bern hat es mit der Sanierung seiner Pensionskassen vorexerziert. Es wurde hart diskutiert, doch der Grosse Rat zimmerte zum Schluss eine Lösung, die auch an der Urne Bestand hatte. In Ostermundigen fühlten sich die Parteien zusätzlich düpiert, weil das Geschäft erst am 30. Juni auf die Traktandenliste gesetzt wurde. Man muss auch in Erinnerung rufen, dass das Gemeindeparlament vor einem Jahr beschlossen hatte, der Gemeinderat solle auch eine Variante vorlegen, die den Anschluss an eine grössere Kasse vorsieht. Darüber, wie gross das Risiko bei einer Totalliquidation der Kasse wäre, scheiden sich die Geister. Der Gemeinderat hat das Risiko im Vorfeld aber stark betont und damit Druck aufgesetzt. Kritiker sahen dies als Angstmacherei. Der Gemeinderat wollte die Kontrolle behalten, doch nun entgleitet ihm das Geschäft. Die Sanierung wird zu einem juristischen Streitfall: Gegen das Vorgehen der Exekutive haben mehrere Parlamentsmitglieder Beschwerde beim Regierungsstatthalter eingelegt. Rechtliche Verfahren haben es an sich, dass weder der Ausgang noch der Zeitpunkt des definitiven Urteils vorhersehbar sind. Ruhe wird in der Ostermundiger Politik vorerst also keine einkehren. Statt mehr Sicherheit hat man mehr Risiko geschaffen.

Auflösung als bessere Variante

Warum hat der Ostermundiger Gemeinderat dieses zweifelhafte Vorgehen gewählt? Man kann nur spekulieren: Hat er bei seinen Entscheidungen die Interessen seiner Angestellten, die bei der PVS B-I-O versichert sind, zu stark gewichtet? Gegen einen Anschluss an eine grössere Kasse auf Anfang 2017 gab es bei ihnen viel Widerstand. Nun muss die um die Versicherten der Gemeinden Bolligen, Ittigen und Jegenstorf reduzierte, ohnehin schon kleine Pensionskasse weitergeführt werden. Das Vertrauen aber ist wegen der massiven Unterdeckung weg. Die Auflösung der Problemkasse wäre darum die bessere Variante.

Das Schifflein soll jetzt noch zwei Jahre durch ein raues Meer weitersegeln, eine schwierige Aufgabe. Danach peilt man einen Hafen an, eventuell die Personalversicherungskasse der Stadt Bern PVK, wo sich die Versicherten gute Bedingungen ausrechnen. Bedauerlich, ja fast tragisch an der ganzen Sache: Die Sanierung ist grundsätzlich unbestritten. Das «Gschtürm» ist unnötig.


Gemeindeparlament: Gehässige Stimmung

Obwohl das Parlament nicht mehr viel zu entscheiden hatte, kam es in Ostermundigenzur Redeschlacht.
Der Entscheid fiel am Donnerstagabend erst kurz vor Mitternacht: Das Parlament folgte nach über fünfstündiger und oft gehässiger Debatte deutlich dem Antrag des Gemeinderats, für die Sanierung der Pensionskasse und den damit einhergehenden Primatwechsel 30,6 Millionen Franken aufzuwenden. Er nahm die entsprechenden Kredite, die der Gemeinderat als gebunden bezeichnet hatte, zur Kenntnis. Bewilligt ist zudem eine Million Franken, um dem Personal den Systemwechsel zum Beitragsprimat finanziell abzufedern. Der Wechsel bringt für die noch berufstätigen Angestellten höhere Kosten und tiefere Renten. Allerdings machte das Parlament dem Gemeinderat noch zusätzliche Auflagen. So wollen die Parlamentsmitglieder, dass beim gesamten Personal vertraglich geregelt wird, dass sie mit dem Entscheid, 2,5 Millionen Franken an die Sanierungskosten zu bezahlen, einverstanden sind. Auch eine Volksabstimmung soll möglich sein. Sollte nämlich der Regierungsstatthalterdie Beschwerde gutheissen, müsste derGemeinderat so bald als möglich die Meinung des Volkes einholen. Gemäss Gemeindepräsident Thomas Iten (parteilos) ist der früheste Termin wohl der 27. November.

Weiter wurde der Gemeinderat beauftragt, eine Arbeitsgruppe ins Leben zu rufen, die nicht nur aus Politikern besteht, sondern auch aus Angestellten. Der Antrag von Luca Alberucci (GLP), die Pensionskasse per Ende dieses Jahres zu kündigen, wurde hingegen abgelehnt. Auch der Wunsch von Christian Zeyer (SP), noch eine zweite unabhängige Meinung einzuholen, fand bei einer Mehrheit kein Gehör.


Gebeutelte Pensionskasse – Eine lange und leidige Geschichte
Die Zahlen der Pensionskasse PVS B-I-O sind schon seit längerem schlecht. Massnahmen griffen nicht.

Die Situation der 1984 gegründete Pensionskasse Personalvorsorgestiftung Bolligen-Ittigen-Ostermundigen (PVS B-I-O) ist alarmierend. Ende des letzten Jahres wies sie einen Deckungsgrad von lediglich 71 Prozent auf. In der Kasse klafft ein mehrere Dutzend Millionen Franken grosses Loch.

Die beiden anderen Gründergemeinden Bolligen und Ittigen haben kürzlich beschlossen, per Ende Jahr aus der PVS B-I-O auszutreten und sich einer Sammelstiftung anzuschliessen. Der Ostermundiger Gemeinderat will hingegen weitere zwei Jahre in der PVS B-I-O bleiben. Vor Bolligen und Ittigen hatte sich bereits Jegenstorf für den Austritt entschieden.

Die Probleme der PVS B-I-O sind nicht neu: Die Kasse geriet bereits 2008 in eine Unterdeckung. Ein Jahr danach leitete der Stiftungsrat Massnahmen zur Gesundung ein, doch erst 2014 erkannte er, dass diese nicht ausreichen würden. Etwa zur gleichen Zeit schaltete sich auch die bernische Stiftungsaufsicht ein und forderte eine Sanierung der Kasse.

Im August 2015 wurde die Kasse dann auch Thema für die Staatsanwaltschaft, nachdem eine versicherte Person Anzeige eingereicht hatte. Dabei gilt es abzuklären, ob bei der PVS B-I-O in den Jahren 2006 bis 2012 alles mit rechten Dingen zugegangen war. Die PVS B-I-O zählt laut Geschäftsbericht per Ende 2015 249 Rentner und 624 aktive Versicherte. Ostermundigen ist mit 190 aktiven Versicherten der grösste Arbeitgeber.


Quelle: Der Bund
01.07.2016

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