Pensionskassen proben neue Anlage-Szenarien

Der Entscheid der Schweizerischen Nationalbank, den Euro-Mindestkurs aufzuheben, erschwert die Vermögensanlage für Pensionskassen. Das wahre Problem der Schweizer Vorsorgeeinrichtungen schlummert aber in den technischen Parametern.

Die Schweizer Pensionskassen haben Jahre mit guten Renditen hinter sich – der Entscheid der Schweizerischen Nationalbank (SNB) vom 15. Januar, die Mindestgrenze des Euro zum Franken aufzugeben und die Negativzinsen zu erhöhen, hat aber auch den Vorsorgeeinrichtungen einen äusserst holprigen Start in das neue Jahr beschert.

Was tun mit den Obligationen?

Branchenexperten wie Peter Wirth vom Verein Vorsorgeforum malen vor diesem Hintergrund ein schwarzes Bild. Der Druck auf den Franken werde anhalten und die SNB werde gezwungen sein, weiterhin Nullzins- beziehungsweise Negativzins-Politik zu betreiben, schrieb er in seinem Newsletter zur zweiten Säule. Für die auf dem Kapitaldeckungsverfahren aufgebaute zweite Säule sei dies «fatal». Substanzielle Börsengewinne seien derzeit nicht absehbar, höchstens «Scheingewinne» auf festverzinslichen Papieren, kommentierte Wirth weiter. Die Folge davon sei eine fortdauernde Enteignung von Sparern und Destinatären.

Der unabhängige Finanz- und Vorsorgeexperte Daniel Dubach geht davon aus, dass einige Pensionskassen von dem Entscheid der SNB kalt erwischt worden sind. Der Glaube, die Nationalbank schalte das Währungsrisiko bei Euro-Anlagen quasi gratis aus, habe sich als falsch und letztlich für einige als sehr teuer erwiesen. Zudem stelle sich nun mehr denn je die Frage, wie die Kassen mit ihren grossen Obligationenbeständen umgehen sollten. So sind die Renditen von Schweizer Staatsanleihen zu grossen Teilen sogar in den negativen Bereich gerutscht. Laut Martin Janssen, Leiter der Ecofin-Gruppe, die auch Pensionskassenberatung anbietet, darf dabei aber nicht vergessen werden, dass Obligationen gegenüber den Verpflichtungen eine Absicherungsfunktion erfüllen, weil sie den gleichen Zinsrisiken unterliegen. Ersetzten Pensionskassen ihre Anleihenbestände durch Cash beziehungsweise Liquidität, so sei dies nicht mehr gewährleistet.

Höhere Bargeldbestände

Als weitere Folge des SNB-Entscheids müssen die Pensionskassen befürchten, dass Geschäftsbanken die von der SNB eingeführten und am 15. Januar auf –0,75% erhöhten Negativzinsen an sie weitergeben. Laut Dubach ist es bereits so weit gekommen, dass Vorsorgeeinrichtungen angesichts der noch höheren Negativzinsen vorbereitende Rechnungen anstellen, welche Kosten das Halten eines höheren Bargeldbestands verursachen würde. Schliesslich fallen bei Bargeld-Vorräten keine Negativzinsen an, sondern der Zins ist null. Bei einer ihm bekannten Pensionskasse habe die Rechnung Kosten für Lagerung, Transport und Versicherung von 0,125% ergeben, sagt Dubach – das ist deutlich günstiger als die von der SNB festgelegten –0,75%, sollten diese von den Geschäftsbanken weitergegeben werden.

Gemäss der Beratungsgesellschaft Towers Watson dürften am 15. Januar nach der Bekanntgabe der Mindestkurs-Aufhebung mehr als 30 Mrd. Fr. an Pensionskassenvermögen vernichtet worden sein. Auch dürfte der durchschnittliche Deckungsgrad um rund 4 Prozentpunkte gefallen sein. Vor dem Hintergrund der jüngsten SNB-Politik dürften die Entscheide mancher Pensionskassen über die Verzinsung der Altersguthaben der Versicherten etwas schief in der Landschaft stehen. Laut Towers Watson wurden diese Entscheide bei den meisten Vorsorgeeinrichtungen noch im alten Jahr getroffen und seien deshalb insbesondere bei gut finanzierten Pensionskassen grosszügig ausgefallen – die Verzinsung liege oftmals über 3% und damit deutlich über dem BVG-Mindestzins von 1,75%.

Dubach geht davon aus, dass solche Entscheide nach dem überaus schwierigen Start in das neue Jahr nun revidiert werden. Das wahre Problem der Schweizer Pensionskassen schlummere in den technischen Parametern, sagt Dubach. Dazu zählt in erster Linie der politisch festgelegte, zu hoch angesetzte Mindestumwandlungssatz. Dieser sorgt dafür, dass es in der zweiten Säule zu einer Umverteilung von Aktiven zu Rentnern kommt.

Laut Janssen kommt hinzu, dass viele Pensionskassen mit beschönigenden Sterbetafeln rechnen, die den Anstieg der Lebenserwartung nicht ausreichend berücksichtigen. Die demografische Entwicklung werde so zulasten der Aktiven schöngerechnet. Dadurch und durch zu tief berechnete Verpflichtungen werde die Situation der Pensionskassen zu optimistisch dargestellt. Die tatsächlichen Deckungsgrade lägen – je nach Pensionskasse – bis zu 20 Prozentpunkte tiefer als ausgewiesen. Wegen der gefallenen Zinsen hätten die Vorsorgeeinrichtungen 2014 zwar deutliche Gewinne auf ihren Obligationenbeständen erzielt. Da sich die Verpflichtungen aber im gleichen Umfang erhöht hätten, gehe es den Pensionskassen nicht besser, sagt Janssen. Eine Pensionskasse könne nur dann sinnvolle Anlageentscheidungen treffen, wenn sie ihre Situation, sprich ihre Rentenverpflichtungen und die Kapitalmarktlage, kenne und diese Sachverhalte in ihre Überlegungen einfliessen lasse. Wenn die Lebenserwartung und die Verzinsung der Rentenverpflichtungen verfälscht würden, resultierten Fehlentscheide.

Droht eine Renten-Krise?

Laut Dubach geht es vielen Kassen nach den zuletzt fetten Jahren am Aktienmarkt aber gut. Zahlreiche Vorsorgeeinrichtungen hätten auch auf die extrem niedrigen Zinsen mit einer Absenkung ihrer technischen Zinsen reagiert. Mit dem technischen Zins schätzt eine Pensionskasse ein, wie gut das für die Rentenzahlungen zurückgelegte Vorsorgekapital verzinst werden wird. Auch laut Lukas Riesen, Partner bei der Beratungsgesellschaft PPCmetrics, haben viele Vorsorgeeinrichtungen die Sätze der technischen Zinsen in den vergangenen Jahren stark reduziert, um auf die niedrigen Kapitalmarktzinsen zu reagieren.

In der Deutschschweiz dürften die meisten Vorsorgeeinrichtungen laut Dubach mittlerweile mit einem technischen Zins von unter 3% rechnen, in der Westschweiz jedoch dürfte dieser Schnitt immer noch bei knapp über 3% liegen. Nun sehe es so aus, als müssten viele Kassen diese Zinssätze noch weiter senken. Der SNB-Entscheid erhöhe hier den Druck beträchtlich, sagt der Vorsorgeexperte. Agierten die Kassen nicht, drohe eine noch stärkere Quersubventionierung der Rentner durch die Aktiven. Hinzu kommt die weiterhin rapide steigende Lebenserwartung der Schweizerinnen und Schweizer, und der Rückenwind vom Kapitalmarkt, dem «dritten Beitragszahler», könnte in den kommenden Jahren schwach ausfallen.

Droht der Schweiz also mittel- bis langfristig eine «Renten-Krise» in der zweiten Säule? Janssen erwartet dies nicht, weil Sanierungen vor allem des Rentnerkapitals zulasten der Erwerbstätigen und der Unternehmen quasi «normal» geworden seien. Trotzdem sei es höchste Zeit, dass die Pensionskassen Transparenz herstellten und die technischen Parameter an die Realität anpassten. Ein weiterer Aufschub werde auch in der Schweiz zu unlösbaren Problemen führen.

Auf sichere Beine stellen lassen dürfte sich das System aber nur, wenn sich dafür im Volk Mehrheiten finden lassen. Wie schwierig das ist, hat zuletzt das klare Nein des Stimmvolks im März 2010 zur Senkung des Mindestumwandlungssatzes gezeigt. Janssen sagte dazu, er erwarte vom Bundesrat und vom Parlament, dass sie dem Volk endlich reinen Wein einschenkten und die Fakten auf den Tisch legten. Nur so könne das Schweizervolk in dieser wichtigen Sache richtige Entscheidungen treffen. Riesen von PPCmetrics sieht die Schweizer Vorsorgeeinrichtungen in einer guten Ausgangslage – sehe man von einigen öffentlichrechtlichen Einrichtungen und den sogenannten «Rentnerkassen» ab. Als Letztere gelten Pensionskassen mit einem Verhältnis von 70% und mehr Rentnern zu 30% oder weniger Aktiven.

Quelle: NZZ
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