Pensionskassen suchen nach Rendite im Infrastrukturbereich – wie gross sind die Risiken?

30.06.2020 Ein politischer Vorstoss will Schweizer Vorsorgeeinrichtungen mehr Anlagen im Bereich Infrastruktur schmackhaft machen. Trotz dem Anlagenotstand ist es dabei aber wichtig, die Gefahren im Auge zu behalten. 

Wie investieren Pensionskassen die Vorsorgegelder der Versicherten? Neben Obligationen, Aktien und Immobilien fliessen viele Gelder in sogenannte alternative Anlagen. Dazu gehören beispielsweise Private Equity, Hedge-Funds, Rohstoffe oder Infrastrukturanlagen. Bei letztgenannter Variante fliesst das Pensionskassengeld indirekt in Infrastrukturprojekte im In- und Ausland wie Flughäfen, Autobahnen, Übertragungsnetze oder in den Gesundheitssektor. Viele Vorsorgeeinrichtungen versprechen sich davon im Negativzinsumfeld höhere Erträge als mit Anleihen.

Politischer Vorstoss

Derzeit sind die Investitionen der Schweizer Pensionskassen in Infrastrukturanlagen nicht allzu gross. Laut der Schweizer Pensionskassenstudie von Swisscanto lagen sie im Jahr 2018 im Durchschnitt bei gerade einmal 0,6% des Vermögens. Neben dem Niedrigzinsumfeld könnte aber auch die Politik dafür sorgen, dass dieser Anteil bald steigt.

Bis jetzt fallen Infrastrukturinvestitionen bei den Anlagerichtlinien für Pensionskassen – wie bereits erwähnt – unter die Kategorie der alternativen Anlagen. Die Kassen dürfen hier gemäss der Verordnung BVV2 insgesamt maximal 15% ihrer Gelder investieren, wenn sie nicht eine Ausnahme geltend machen. Darunter fallen auch Infrastrukturinvestitionen. Der Nationalrat und der Ständerat haben indessen im Juni 2017 bzw. März 2018 eine Motion des ehemaligen grünliberalen Nationalrats Thomas Weibel angenommen, welche die Schaffung einer eigenen Anlagekategorie für Infrastrukturanlagen vorsieht. Pensionskassen sollen hier in Zukunft allein bis zu 10% ihrer Vermögen investieren können.

Vom «latenten Stigma» befreien

Die Motion sieht vor, sie vom «latenten Stigma» der alternativen Anlage zu befreien. «Neu sollen Infrastrukturanlagen einfach ausserhalb der Kategorie alternative Anlagen geführt werden – quasi als traditionelle Anlage, auch wenn das Gesetz diesen Begriff nicht kennt», sagt Lukas Riesen, Partner bei der Pensionskassen-Beratungsgesellschaft PPCmetrics.

Bis zum 20. März dieses Jahres lief bereits eine Vernehmlassung des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) über die Anpassung der Anlagerichtlinien der Pensionskassen. Laut Hanspeter Konrad vom Pensionskassenverband Asip ist noch offen, wann die Verordnungsänderung in Kraft treten wird. «Es ist davon auszugehen, dass dies relativ kurzfristig passieren wird», sagt indessen Thomas Weibel auf Anfrage

Produktanbieter hoffen auf Zuflüsse

Anbieter von Infrastruktur-Finanzprodukten reiben sich angesichts dieser Aussichten bereits die Hände und hoffen auf grosse Zuflüsse. «Die neue Regelung dürfte einen ziemlichen Boost auslösen, die Sensibilität für das Thema Infrastruktur würde deutlich erhöht», sagt etwa Jürg Unteregger, Chef des Zürich-Büros der Bank Edmond de Rothschild.

In den vergangenen Jahren habe er bereits in Gesprächen mit Vertretern von Vorsorgeeinrichtungen ein verstärktes Interesse an Infrastrukturanlagen bemerkt. Angesichts der niedrigen Erträge von Obligationen steige bei den Kassen die Bereitschaft, sich bei ihren Anlagen länger zu verpflichten. Dies ist bei Infrastrukturanlagen nötig, denn solche Investitionen sind weniger liquide als beispielsweise Obligationen oder Aktien.

«Hohe Wertbeständigkeit bei stabilen Erträgen»

Laut Konrad zeichnen sich Infrastrukturanlagen einerseits durch eine hohe Wertbeständigkeit bei stabilen und konstanten Erträgen aus. Des Weiteren verschaffe die Diversifikation des Vermögens den Vorsorgeeinrichtungen eine grössere Handlungsfreiheit. Dies wirke sich letztlich risikomindernd auf das Anlagevermögen aus.

Infrastrukturanlagen befassten sich ausschliesslich mit Sachwerten, die von gesamtgesellschaftlicher Relevanz seien und Raum für qualifizierte Arbeitsplätze insbesondere auch im Inland schafften, heisst es in der Motion von Weibel. Darunter fielen die Infrastrukturbereiche Energie, Mobilität, Versorgung und Gesundheit.

Die Vorsorgeeinrichtungen könnten so auch in grösserem Mass als bisher in ökologisch nachhaltige Projekte im Inland investieren und damit die von Bundesrat und Parlament unterstützte Energiewende stärken, heisst es weiter. «In diesem Zusammenhang wird immer wieder das Projekt Cargo Sous Terrain erwähnt», sagt Weibel. Cargo Sous Terrain sieht zu Logistikzwecken den Bau eines unterirdischen Tunnelsystems in der Schweiz vor. Grundsätzlich sehe die Motion aber keine Beschränkung von Infrastrukturanlagen auf die Schweiz vor.

Illiquidität und Komplexität als Nachteile

Allerdings bergen Infrastrukturanlagen auch gewisse Gefahren für Anleger. Laut Konrad sind allfällige politische, regulatorische und operative Risiken zu beachten. Infrastrukturanlagen wiesen aufgrund ihrer Grösse, Immobilität, Illiquidität, Gegenparteienrisiken und ihrer Komplexität nicht zu unterschätzende Unsicherheiten auf, denen Rechnung zu tragen sei, sagt der Asip-Direktor.

Solche Investitionen könnten für Pensionskassen ökonomisch sehr sinnvolle Investments sein, allerdings wiesen sie auch nach der Änderung der Verordnung immer noch die typischen Eigenschaften von alternativen Anlagen auf, sagt Riesen. «Dazu zählen Illiquidität und, damit verbunden, eine geringere Preistransparenz sowie höhere Kosten.»

Auch Weibel nennt gewisse Gefahren. Im regulierten Bereich wie etwa im schweizerischen oder europäischen Strom-, Gas- oder Wärmenetz seien diese gering, schreibt er in seiner Motion. Sie seien aber sehr heterogen. Je nach Art und Ort seien Infrastrukturanlagen oft erheblichen wirtschaftlichen, technischen und politischen Risiken ausgesetzt. Dies verlange von Investoren eine erhöhte Sorgfaltspflicht.

In der Vergangenheit haben sich staatliche Akteure auch durchaus nicht an Verträge gehalten oder im Nachhinein Gesetze geändert. In der Schweiz ist dies unwahrscheinlich, doch der hiesige Markt ist klein – folglich dürften Pensionskassen bei grösseren Investitionen in Kauf nehmen müssen, dass diese auch im Ausland stattfinden. Bei Anlagen von Vorsorgegeldern im Bereich Infrastruktur ausschliesslich in Schweizer Projekte besteht hingegen das Risiko einer zu geringen Risikostreuung.

«Gerade der Ausbruch des Coronavirus zeigt, dass auch bei Infrastrukturanlagen Diversifikation zentral ist», sagt Riesen. Ein wichtiger Bereich von Infrastrukturanlagen seien beispielsweise Transportgüter, also etwa Flughäfen oder Mautstrassen. «Solche Anlagen sind überdurchschnittlich stark von der Corona-Krise betroffen.»

Kommt es zu einem Run auf Infrastruktur oder nicht?

Insgesamt gesehen erwartet Riesen von PPCmetrics keinen Run auf die Anlageklasse Infrastruktur, auch wenn die Anlagerichtlinien geändert werden. An der Zulässigkeit von Infrastrukturanlagen ändere sich dann schliesslich nichts. Er geht davon aus, dass Pensionskassen nach wie vor sorgfältig zwischen den attraktiven Ertragsmöglichkeiten und den Risiken abwägen werden.

Auch Weibel glaubt nicht, dass die Nachfrage nach Infrastrukturanlagen bei den Vorsorgeeinrichtungen rasch ansteigt. «Viele Pensionskassen sind eher träge, folglich erwarte ich nicht, dass es kurzfristig zu grossen Veränderungen kommt», sagt er. Asip-Direktor Konrad hingegen rechnet damit, dass die Pensionskassen angesichts des Tiefzinsumfelds weiterhin verschiedene Investitionsmöglichkeiten prüfen. Infrastrukturanlagen hätten auf sehr tiefem Niveau schon in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Bei geeigneten Angeboten sei wohl mit einem Wachstum zu rechnen.

«Möglicherweise ändert sich durch die Anpassung der Anlagerichtlinien die Wahrnehmung dieser Anlagen», sagt Riesen. In der Praxis bleibe die Herausforderung, Infrastrukturanlagen mit einem attraktiven Rendite-Risiko-Verhältnis zu finden. Es gebe zwar attraktive Möglichkeiten, aber diese seien auch nicht in unendlicher Menge verfügbar.

Quelle: NZZ

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