Die Angst um Teilzeitjobs

In der beruflichen Vorsorge will der Bundesrat den Mindestumwandlungssatz auf 6,0 Prozent senken. Damit die Renten nicht sinken, wird das BVG-System umgebaut. Eine Studie benennt, was die Folgen der Massnahmen für den Arbeitsmarkt sind.

Der Umwandlungssatz in der zweiten Säule ist eine rechnerische Grösse, die derzeit politisch festgelegt wird. Bestimmend für die Berechnung des Satzes sind Anlagerenditen und Lebenserwartung. Für den derzeitigen BVG-Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent sind die Zinsen seit langer Zeit zu tief und die Lebenserwartung zu hoch. Die meisten Pensionskassen und alle Lebensversicherer sind deshalb zu einer Umverteilung von Jung zu Alt gezwungen, die immer dramatischere Ausmasse annimmt (vgl. Zusatz). Der Bundesrat möchte mit der «Altersvorsorge 2020» den Umwandlungssatz zumindest ein wenig den Realitäten anpassen und ihn auf 6,0 Prozent senken.

Unliebsame Folgen

Oberstes Gebot der bundesrätlichen Rentenreform ist, dass die aus erster und zweiter Säule zusammengesetzte Rentensumme nicht sinkt. Aus diesem Grund sieht die Reform in der zweiten Säule Ausgleichsmassnahmen vor: Neben Regelungen für die Übergangsgeneration sind dies die Abschaffung des Koordinationsabzugs, die Erhöhung der Gesamtaltersgutschriften sowie die Senkung der BVG-Eintrittsschwelle. Diese Neuregelungen verbessern die Situation von Teilzeiterwerbstätigen, von Personen mit tiefen Einkommen oder mehreren Arbeitsverhältnissen. Es sollen, so steht es in der Botschaft, insbesondere Frauen profitieren.

Eine vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) in Auftrag gegebene Studie benennt jedoch unliebsame Folgen der Massnahmen für den Arbeitsmarkt. Es könnten just jene getroffen werden, welchen mit der Reform geholfen werden soll. Zwar seien die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen «relativ gering», heisst es in der Untersuchung des Beratungs- und Forschungsunternehmens Ecoplan. Doch immerhin rechnet die Studie mit einem Minus von 3000 Vollzeitstellen. Ein Drittel des Beschäftigungsverlusts seien auf die Senkung der Eintrittsschwelle zurückzuführen, zwei Drittel auf die Erhöhung der Altersgutschriften.

Ausgerechnet bei Frauen, Teilzeitbeschäftigten und tiefen Haushalteinkommen wären die Einbussen am grössten. Für Arbeitgeber würde es weniger attraktiv, Teilzeitjobs anzubieten: Am stärksten stiegen die Arbeitskosten bei den Teilzeiterwerbstätigen mit einem Pensum zwischen 20 und 49 Prozent. Der Beschäftigungsrückgang wäre bei Frauen rund doppelt so hoch wie bei Männern. Bei Teilzeitbeschäftigten mit einem Pensum von 20 bis 49 Prozent würde der Nettolohn spürbar sinken, um durchschnittlich 2,4 Prozent. Die Reform würde laut der Studie überdies jene Sektoren am stärksten treffen, in welchen die Durchdringung mit Gesamtarbeitsverträgen hoch ist. Genannt werden Industrie und Gewerbe, Bau, Handel und Verkehr. Am stärksten würden die Arbeitskosten in der Gastrobranche steigen, um 2,6 Prozent.

«Enorme Zusatzbelastung»

Der Bundesrat schreibt in der Botschaft, dass sich die «höheren Lohnnebenkosten in geringem Masse auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auswirken». Die Risiken dürften sich «in Grenzen halten». Aus Sicht des Schweizerischen Arbeitgeberverbands (SAV) ist dies Schönfärberei. «Diesen Leistungsausbau in der beruflichen Vorsorge lehnen wir entschieden ab», sagt Martin Kaiser vom SAV. Der Cocktail aus Senkung der Eintrittsschwelle auf rund 14 000 Franken und Streichung des Koordinationsabzugs führe zu einer enormen Zusatzbelastung des Faktors Arbeit. Dies habe mit Sicherheit schädliche Folgen für die Arbeitsplätze. Der SAV rechnet mit mehr als 3000 Jobs, die verschwinden würden. Die Annahmen in der Studie seien viel zu optimistisch, betont Kaiser. Die KMU müssten bis zu 40 Prozent höhere Beiträge für die berufliche Vorsorge entrichten. Als bessere Variante erachten es die Arbeitgeber, den Koordinationsabzug an den Beschäftigungsgrad zu binden.

Wird der Umwandlungssatz in der zweiten Säule nicht gesenkt, verschärft sich die Diskrepanz zwischen den vom Gesetz versprochenen Mindestleistungen und ihrer Finanzierung. Derzeit werden, um die gesetzlichen Leistungen erfüllen zu können, systemwidrig hohe Summen von Jung zu Alt umverteilt. Das heisst: Die heutigen Rentner erhalten Mittel, welche die Aktiven eigentlich für ihre eigene, künftige Renten zwangssparen. Sie leben auf Kosten der jungen Generation. Der Lebensversicherer Axa Winterthur schätzt die jährliche Umverteilung total auf 3,5 Milliarden Franken (NZZ 4. 4. 15). Allein bei Axa Winterthur wurde 2013 die Summe von 416 Millionen Franken umverteilt. Sollte es nicht gelingen, den BVG-Mindestumwandlungssatz zu senken, wird die Umverteilung in der zweiten Säule weiter zunehmen. Im Gegensatz zur umlagefinanzierten AHV ist eine Umverteilung in der zweiten Säule nicht vorgesehen.

Quelle: NZZ

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